Das Schwarze unterm Nagel

(Auflage: 20 Exemplare)

Art.Nr.00/20

Das SchwarzeEin Tütchen mit je einem Fingernagel, Dreck darunter, geschnitten, das Schwarze unterm Nagel. Abgeschnitten und eingetütet, beliebig nachwachsend, das könnte verlocken über eine noch unklare Absicht hinaus.

Das Tütchen mit Verschluß, von kleinstem Format, 4,2 cm mal 6,4 cm, durchsichtig. Eine Auflage, die täglich nachwächst, durch wöchentlichen Schnitt zu erweitern. Freude jedes Galeristen. Jedes Sammlers auch?

Lieber wäre mir gewesen, nach einer Autoschrauberei, einem Hantieren, Teilewechseln in einem alten Motorraum, verölt und voll Knaster, an meine Arbeit zurück gekommen zu sein. Das hätte wirklich schwarze Nägel ergeben. So kam ich aus dem Garten.

Denn Pflanzen können einen jammern, wenn sie der Sonne nichts sonst mehr entgegenzusetzen haben denn Menschenmitleid. Ich hatte hier und da gießen wollen, hatte dann doch dort gebuddelt und hier einige trockene Blätter abgerupft. Anderes hatte ich aus dem Rasen geklaubt, in einem torfigen Beet Abgeknicktes gesammelt und ein jüngst gesetztes Stöckchen noch einmal im Erdreich festgedrückt. Besah mir bei der Rückkehr ins Haus, wie man selbst vor sich selbst den Beiläufigen gibt, meine Fingernägel. Denen war das bißchen Manipulieren am Garten ablesbar: schwarze Krümel und Schlamm unter allen zehn Fingernägeln. Zehn dunkle Halbmonde, die zwar wegwischen, weggewaschen, herausbröseln würden bei Einsatz von Wurzelbürste, schönes Wort, oder Scheuersand, oh, Metallarbeiter aller Länder, wie bescheuert einfach sich Arbeit ablegen läßt.

Mit mehr Ernst an das Thema, bitte:

Ein Sprichwort stand hier im Raum, das auszusprechen meine Großmutter bereits als einen Akt des Philosophierens empfand. »Dem gehört nicht mal das Schwarze unterm Nagel!« In solchen Fällen war nichts mehr zu machen. Auch nichts weiter zu sagen. Eine perfide Zwickmühle der ganze Satz: Einmal die schwarzen Finger noch zu Zeiten meines Großvaters, ursprünglich als Schlosser in der Rotfabrik, die aus der Sicht saubererer, gar gepflegter Fingernägel ohnehin anders geheißen hatte: Der Satz besagte, viel mehr habe einer nicht vorzuweisen als eben seiner Hände Werk. Andererseits daß nicht einmal dieses Schwarz einem gehörte, womit man sein Leben zu unterhalten hatte: das Öl, die Maschinen, die Arbeit bestenfalls als Stationen eigenen Lebens, keinesfalls Besitz; was man hernach an Betriebsmitteln wegträgt, gehört noch diesen Maschinen an, was man da wegtrug, war fremde Habe und gehörte einem nicht: nicht mal das Schwarze unterm Nagel.

Auch insofern hätte ich, als mir beim Betrachen meiner Gartenfinger dieses Multiple vorschwebte, eher an einem Auto schrauben sollen, anstatt in Grund- und Bodenbesitzer-Stolz bis oberflächlicher Bauernhaftigkeit in Garten und eigener Erde zu wühlen – dies wurde dem soziologisch geflügelten Wort nicht gerecht. Obendrein bröselte den zehn Nägeln unter der Nagelschere das bißchen angeeigneter Gartenerde beim Schneiden weg. Kurz, dieses Multiple ist von Anfang an im Status der Beeinträchtigung. Zuletzt wollten die Halbmonde, die ich mir in den Tütchen vorgestellt hatte, nicht gebogen bleiben, wie sie es am Finger gewesen waren; indem sie geschnitten werden, büßen sie ihre Form ein, ihre Rundung, strecken sich, werden außerhalb des Nagelbetts gerade und wandeln sich ohne die Spannung im Finger, die zu spüren wir offenbar nicht in der Lage sind, beinahe zu Stiften. Diese Streckung ließ noch weiteres Schwarze von den als solche kaum noch erkennbaren Nagelrändern springen. Ein Murks.

Da Vorstellungen stur sind, dachte ich mir um die Tütchen wulstig breite Rahmen aus schnitzereiverziertem Holz, schwarz gelackt, und hätte das schallende Lachen meiner Großmutter gegen mich, sowieso, stellte mir die Tütchen darin eingepfercht wie Barock-Spiegel vor. Der unsauberen Arbeit halbwegs Zusammenhalt zu geben, beschloß ich, 20 Nägel zu schneiden, 10 von den Fingern, 10 von den Zehen, damit neben dem immer sichtbaren Werk der Hände auch den meist weggepackten Füßen Referenz erwiesen wäre, auf denen das Schwarze – ein Auto gab es damals nicht – nach Haus getragen wurde. Wem auch immer es gehört haben mochte.

Dabei ist es geblieben.

(Zurück zu den Multiples!)